Die Vignettenforschung ist eine am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck entwickelte Methodologie, die sich in der Phänomenologischen Erziehungswissenschaft verortet und eingesetzt wird, um Lernerfahrungen in ihrer authentischen Situation, d.h. in statu nascendi wissenschaftlich zu erfassen. Die Vignetten basieren auf tatsächlichen Ereignissen und gelebten Erfahrungen, deren Spuren sie in einem Überschuss in sich tragen. Die Forschenden beschränken sich dabei auf Sequenzen und protokollieren Momente miterfahrener gelebter Erfahrung in medias res. Auf der Basis dieser Erfahrungsprotokolle verdichten sie Miterfahrenes in (Roh-)Vignetten, die viel mehr prägnant als präzise sind. Forschende in der Haltung der Vignettenforschung sind herausgefordert, sich der Gerichtetheit ihrer Aufmerksamkeit bewusst zu werden und kritisch reflektiert damit umzugehen. Der Überschuss, der sich in einer Vignette zeigt, kann über unterschiedliche Lesarten genutzt werden. Dabei geht es nicht um eine Detailanalyse des Vignettentextes, sondern um differente Lesarten, welche – je nach thematischer Ausrichtung – neue Einsichten zur lernseitigen Erkundung von Schule und Unterricht eröffnen kann. Anstatt einer abschließenden Analyse geht es dabei eher um ein Weiterfragen und Weiterdenken, um den Raum für neue Erkenntnisse offen zu halten.
Vignetten können in Professionalisierungskontexten vielseitig eingesetzt werden. Durch unterschiedliche Lektüren bzw. differente Perspektiven kann dabei die Vielschichtigkeit von schulischen Lernprozessen sichtbar gemacht werden. Lehrpersonen können über Vignettenarbeit sich erfahrungsbasiert mit einem phänomenologisch orientierten Lernbegriff auseinandersetzen. In der Lehrerausbildung wird die Richtung ihrer Aufmerksamkeit auf die Lernerfahrungen der Schülerinnen und Schüler gelenkt, wodurch sie in ihrer lernseitigen Perspektive geschult werden.
Agostini, E., Schratz, M. & Risse, E. (2018). Lernseits denken – erfolgreich unterrichten. Personalisiertes Lehren und Lernen in der Schule. Hamburg: AOL.
Ammann, M., Westfall-Greiter, T., & Schratz, M. (Eds.). (2017). Erfahrungen deuten - Deutungen erfahren: Vignettes and Anecdotes as Research, Evaluation and Mentoring Tool. Innsbruck: StudienVerlag.
Baur, S., & Peterlini, H. K. (Hg.). (2016). An der Seite des Lernens: Erfahrungsprotokolle aus dem Unterricht an Südtiroler Schulen - ein Forschungsbericht. Innsbruck: StudienVerlag.
Schratz, M. (2017). Lernen, das tiefer geht. Erkundungen lernseits von Unterricht. Lernende Schule, 20 (80), 4-7.
Schratz, M., Schwarz, J. F., & Westfall-Greiter, T. (2012). Lernen als bildende Erfahrung: Vignetten in der Praxisforschung. Innsbruck: StudienVerlag.
Schwarz, J. F. (2012). Lernseits forschen. Eine Akzentuierung. Erziehung & Unterricht, (9-10), 888-892.
Schwarz, J. F. & Schratz, M. (2014). Hospitieren – Beobachten – Miterfahren. Die Forschungshaltung in der Innsbrucker Vignettenforschung. Journal für Schulentwicklung, 14(1), 39-43.
Westfall-Greiter, T. & Hofbauer, C. (2017). Lernkraft freisetzen: Den lernseitigen Blick schärfen. Lernende Schule, 20 (80), Werkstatt-Beitrag, 1-16.
Das von der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart) geförderte Forschungsprojekt geht der Frage nach, wie sich Führungshandeln an mit dem Deutschen Schulpreis auszeichneten Schulen zeigt, die in den ersten zehn Jahren ausgezeichnet wurden. Dazu werden an 30 Preisträgerschulen Feldstudien durchgeführt, um das Schulleitungshandeln an den ausgezeichneten Schulen der ersten zehn Jahre zu untersuchen und insbesondere auch, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zwischen dem Leitungshandeln der einzelnen Schulen im jeweiligen Kontext zeigen.
In dreitägigen Feldphasen wurde das Schul- und Unterrichtsgeschehen sowie speziell das Schulleitungshandeln jeweils über drei Tage hinweg erforscht. Zur Aufarbeitung der Ergebnisse werden Fallstudien gewählt, um eine möglichst fundierte Basis für verallgemeinerbare Erkenntnisse zu erhalten. Der Besuch der ausgewählten Schulen erfolgte zunächst vor dem Hintergrund einer umfassenden Dokumentenanalyse, die auch zur Vorbereitung der weiteren empirischen Arbeiten im Feld dient. Über die ausgezeichneten Schulen liegen neben den internen Materialien aus den Schulen umfangreiche Dokumente (Bewerbungsunterlagen, Jurybewertungen, Publikationen) vor, die hierfür genutzt werden können. Die Dokumentenanalyse zeigt ergänzend Facetten, die im Rahmen eines Besuchs nicht gewonnen werden können. Darüber hinaus wurden teilstrukturierte Interviews durchgeführt, welche es ermöglichen, aufgrund vorbereiteter und vorformulierter Fragen einen Sachverhalt zu bearbeiten, bei dem die Gesprächsführung flexibel bleibt und somit auch ähnlich dem wenig strukturierten Interview von der Seite des Interviewers reagiert werden kann, um den Erfahrungsbereich bzw. die (Lern-)Erfahrungen der Befragten zu erkunden. Ausgewertet werden die Daten auf Grundlage einer Grounded Theory Codierung. Diese zielt darauf ab induktiv aus dem Datenmaterial heraus theoretische Kategorien zu formulieren. Erste Ergebnisse wurden im Rahmen der ECER 2017 in Kopenhagen und ICSEI 2018 in Singapur präsentiert.
Michael Schratz im Interview zum Deutschen Schulpreis in der ARD Tagesschau.